Antonius von Borcke, Principal und Verhandlungsexperte bei Egger Philips, schaut souverän und zugewandt
in die Kamera. Er trägt ein hellblaues Hemd und ein olivfarbenes Sakko.

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt markiert einen entscheidenden Wendepunkt im internationalen Umweltschutz. Es zeigt, wie globale Verhandlungen auch bei komplexen Interessenkonflikten zu konkreten Ergebnissen führen können – vorausgesetzt, es gelingt, wissenschaftliche Fakten überzeugend zu vermitteln, ausgewogene Kompromisse zu finden und die Umsetzung langfristig zu sichern.

Übereinkommen über die biologische Vielfalt

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Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) wurde am 5. Juni 1992 im Rahmen der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro zur Unterzeichnung aufgelegt. Es trat am 29. Dezember 1993 in Kraft und gehört mit 196 Vertragsparteien zu den wichtigsten internationalen Umweltverträgen. 

Die CBD wurde geschaffen, weil der weltweite Verlust an Biodiversität alarmierende Ausmaße angenommen hatte. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass menschliche Aktivitäten (insbesondere Abholzung, Umweltverschmutzung, Übernutzung von Ressourcen und dem Klimawandel) die Artenvielfalt drastisch reduzierten. Ziel war es, ein völkerrechtlich verbindliches Rahmenwerk zu schaffen, um den Schutz, die nachhaltige Nutzung und die gerechte Verteilung der Vorteile biologischer Vielfalt sicherzustellen. 

Die CBD verfolgt drei zentrale Ziele, die eng miteinander verknüpft sind: Zum einen soll die biologische Vielfalt in all ihren Formen erhalten bleiben, um das reiche Erbe der Natur für kommende Generationen zu bewahren. Gleichzeitig strebt das Übereinkommen eine nachhaltige Nutzung der Bestandteile dieser Vielfalt an, damit natürliche Ressourcen verantwortungsvoll genutzt werden, ohne ihre Regenerationsfähigkeit zu gefährden. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die gerechte Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergeben. Damit soll sichergestellt werden, dass insbesondere die Herkunftsländer dieser Ressourcen, häufig Entwicklungsländer, fair an den wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Erträgen beteiligt werden. Diese Ziele spiegeln das übergeordnete Bestreben wider, den fortschreitenden Verlust der Biodiversität wirksam zu stoppen und gleichzeitig die Vorteile biologischer Ressourcen weltweit gerecht zu verteilen.

Mit dem Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework, das im Dezember 2022 auf der 15. Vertragsstaatenkonferenz der CBD (COP15) verabschiedet wurde, hat die internationale Gemeinschaft einen neuen Meilenstein gesetzt. Dieses Rahmenwerk enthält konkrete Ziele bis zum Jahr 2030, um den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt nicht nur zu stoppen, sondern umzukehren. Dazu gehört unter anderem das ambitionierte Ziel, mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030 unter effektiven Schutz zu stellen („30 by 30“-Ziel) sowie den Verlust von Ökosystemen und Arten signifikant zu reduzieren. Das neue Rahmenwerk soll die Umsetzung der CBD entscheidend vorantreiben und den Schutz der Biodiversität stärker mit sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungszielen verknüpfen.

Zusatzprotokolle

Im Laufe der Jahre wurden zwei wichtige Protokolle im Rahmen der CBD entwickelt:

  • Cartagena-Protokoll über die biologische Sicherheit (2000): Regelt die grenzüberschreitende Verbringung lebender, gentechnisch veränderter Organismen, um mögliche Risiken für die biologische Vielfalt und die menschliche Gesundheit zu minimieren.
  • Nagoya-Protokoll über Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechte Aufteilung der Vorteile (2010): Schafft einen rechtlichen Rahmen für den Zugang zu genetischen Ressourcen und die faire Verteilung der daraus resultierenden Vorteile.

Diese Protokolle ergänzen das Übereinkommen und stärken dessen Umsetzung in spezifischen Bereichen.

CBD und andere Umweltabkommen

Die CBD ist eng mit anderen internationalen Umweltverträgen verknüpft, insbesondere mit dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) und dem Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD). Alle drei Abkommen wurden auf der UNCED 1992 in Rio verabschiedet und gelten als die drei zentralen globalen Umweltabkommen („Rio-Konventionen“).

Obwohl die Biodiversitätskrise genauso schwerwiegend ist wie die Klimakrise, erhält sie weniger Aufmerksamkeit. Dies liegt unter anderem daran, dass Biodiversitätsverluste oft lokal und nicht direkt spürbar sind, während der Klimawandel globaler wahrgenommen wird. Ausserdem enthält die CBD keine klaren Emissionsziele wie das Pariser Abkommen und hat weniger verbindliche Mechanismen zur Überprüfung der Umsetzung. Ausserdem arbeiten wirtschaftliche Interessen (z. B. industrielle Landwirtschaft, Landnutzungsrechte) oft stärker gegen Biodiversitätsmaßnahmen als gegen Klimaschutzmaßnahmen.

Bezug zum Hochseeschutzabkommen (BBNJ)

Obwohl das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) den Schutz der weltweiten Biodiversität zum Ziel hat, ist seine direkte Anwendbarkeit auf die Hohe See begrenzt. Um diese Lücke im internationalen Recht zu schließen, wurde im Jahr 2023 das Hochseeschutzabkommen (BBNJ) verabschiedet. Es ergänzt die Prinzipien der CBD gezielt für Gebiete außerhalb nationaler Hoheitsgewalt, insbesondere im Hinblick auf den Schutz mariner Ökosysteme und die gerechte Verteilung der Vorteile aus der Nutzung genetischer Ressourcen in internationalen Gewässern.

Weitere Informationen finden Sie auf unserer Seite zum Hochseeschutzabkommen (https://eggerphilips.ch/hochseeschutzabkommen-2/)

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Was ist aus Verhandlungsperspektive interessant? 

Die Verhandlungen zum Hochseeschutzabkommen bieten tiefgehende Einblicke in die Dynamik multilateraler Abkommen und liefern wertvolle Lektionen für zukünftige Verhandlungsprozesse:

Kompromisse als Schlüssel zum Erfolg der CBD

Die Verhandlungen zur CBD zeigen, wie scheinbar unvereinbare Interessen zu einer gemeinsamen Lösung führen können. Industrieländer wollten einfachen Zugang zu genetischen Ressourcen, etwa für Medikamente und neue Technologien. Entwicklungsländer forderten im Gegenzug eine faire Beteiligung an den Gewinnen, die aus der Nutzung „ihrer“ Natur entstehen. Daraus entstand das Konzept des „Access and Benefit Sharing“ (ABS), also des Zugangs zu Ressourcen bei gleichzeitiger gerechter Vorteilsverteilung. Dieses Prinzip wurde später im Nagoya-Protokoll von 2010 konkret geregelt. Ohne diese Kompromisslösung hätten viele Staaten die CBD vermutlich nicht unterzeichnet. Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, konkrete und faire Angebote für alle Seiten zu schaffen, statt nur von „Win-Win-Situationen“ zu sprechen.

Flexibel starten, später konkretisieren

Die CBD wurde bewusst als Rahmenabkommen ausgehandelt, um trotz großer Unterschiede zwischen den Ländern eine Einigung zu ermöglichen. Statt alle Details sofort festzulegen, wurden nur grundlegende Ziele definiert, während konkrete Maßnahmen später nachgereicht wurden. So entstanden das Cartagena-Protokoll (2000) zum Schutz vor Risiken durch Gentechnik und das Nagoya-Protokoll (2010) zur Nutzung genetischer Ressourcen. Dieser schrittweise Ansatz ermöglichte es, erste Erfolge zu erzielen und schwierige Fragen später unter klareren Bedingungen zu verhandeln. Für komplexe Themen mit vielen Beteiligten ist so ein flexibler Start oft der einzige Weg, überhaupt zu einem Abkommen zu kommen.

Symbolische Konferenzen als Verhandlungsturbo

Wichtige politische Einigungen werden oft nicht in kleinen Verhandlungsräumen erzielt, sondern bei großen, öffentlichkeitswirksamen Konferenzen. Die CBD wurde auf dem berühmten Erdgipfel 1992 in Rio unterzeichnet, der weltweit große Aufmerksamkeit erzeugte. Auch das Nagoya-Protokoll wurde erst bei der feierlichen COP10-Konferenz 2010 in Japan erfolgreich abgeschlossen, nach Jahren zäher Verhandlungen. Solche Konferenzen erhöhen den politischen Druck und bieten Regierungen die Gelegenheit, Erfolge öffentlich zu präsentieren. Für die CBD waren diese symbolträchtigen Momente entscheidend, um Blockaden zu überwinden und konkrete Ergebnisse zu erzielen.

Ohne Kontrolle bleibt die Wirkung aus

Ziele auf dem Papier reichen nicht aus, wenn niemand ihre Umsetzung überprüft. Die CBD verpflichtet die Staaten zwar, Pläne zum Schutz der Artenvielfalt zu erstellen, doch deren Umsetzung wird kaum kontrolliert. Ein gutes Beispiel dafür sind die Aichi-Biodiversitätsziele, die von 2010 bis 2020 galten. Fast alle dieser Ziele wurden verfehlt – obwohl sie ambitioniert formuliert waren. Das zeigt: Ohne klare Regeln, wer was bis wann tun muss, bleiben Abkommen wirkungslos. Erfolgreiche Verhandlungen müssen deshalb immer auch klären, wie Maßnahmen überprüft und bei Bedarf durchgesetzt werden.

Wissenschaft Fakten als Verhandlungsbasis

Die Verhandlungen zur CBD zeigen deutlich, wie wichtig eine solide wissenschaftliche Grundlage für erfolgreiche internationale Abkommen ist. Bereits im Vorfeld der Verhandlungen hatten Berichte von Organisationen wie dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltnaturschutzunion (IUCN) den dramatischen Verlust an Arten und Lebensräumen eindrucksvoll belegt. Diese wissenschaftlichen Analysen machten die Krise der biologischen Vielfalt greifbar und schufen eine gemeinsame Faktenbasis, auf die sich Staaten mit sehr unterschiedlichen Interessen einigen konnten. Ohne diese klaren Belege für die Dringlichkeit des Problems wäre der politische Wille für ein so umfassendes Abkommen kaum entstanden. Auch die nachfolgenden Biodiversitätsberichte – etwa der regelmäßig erscheinende Global Biodiversity Outlook – zeigen, wie wichtig verlässliche Daten sind, um Fortschritte zu messen und politische Handlungsnotwendigkeiten aufzuzeigen. Für künftige Verhandlungen gilt: Nur wer solide Fakten liefert, schafft die Grundlage für wirksame und langfristig akzeptierte Entscheidungen.

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt markiert einen entscheidenden Wendepunkt im internationalen Umweltschutz. Es zeigt, wie globale Verhandlungen auch bei komplexen Interessenkonflikten zu konkreten Ergebnissen führen können – vorausgesetzt, es gelingt, wissenschaftliche Fakten überzeugend zu vermitteln, ausgewogene Kompromisse zu finden und die Umsetzung langfristig zu sichern. Ob die ambitionierten Ziele des Kunming-Montreal-Rahmenwerks erreicht werden, wird entscheidend davon abhängen, wie konsequent Staaten ihren Verpflichtungen nachkommen und ob politische Zusagen in wirksames Handeln übersetzt werden.

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