
Das Hochseeschutzabkommen von 2023 ist ein historischer Meilenstein für den Meeresschutz und zeigt, dass multilaterale Diplomatie auch bei komplexen Umweltfragen möglich ist.
Einigung zum Hochseeschutzabkommen

Die Hohe See, also die Meeresgebiete außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeiten, machen fast zwei Drittel der Weltmeere aus. Lange existierten kaum rechtlich verbindliche Regelungen zum Schutz der biologischen Vielfalt in diesen internationalen Gewässern.
Wissenschaftler:innen und Umweltorganisationen forderten seit langem, dass der Schutz der Hohen See gestärkt wird. Ein globales Abkommen wurde notwendig, um ökologische Katastrophen zu verhindern und gleichzeitig faire Regelungen für wirtschaftliche Nutzungen zu schaffen. Zwar existierten internationale Regelwerke wie UNCLOS, doch viele Umweltprobleme, insbesondere beim Schutz mariner Ökosysteme, waren unzureichend reguliert.
Die Verhandlungen für das Hochseeschutzabkommen begannen offiziell 2004 unter dem Dach der Vereinten Nationen. Zwischen 2018 und 2023 fanden intensive formelle Verhandlungsrunden statt. Die Staaten waren sich in vielen Punkten uneinig, insbesondere über:
- Die Schaffung von Meeresschutzgebieten – viele Länder mit wirtschaftlichen Interessen in der Hohen See wollten keine zu starken Einschränkungen.
- Die Nutzung mariner genetischer Ressourcen – die Frage, wie Gewinne aus biotechnologischen Innovationen fair aufgeteilt werden, war stark umstritten.
- Die Finanzierung und Unterstützung ärmerer Länder – Entwicklungsländer forderten Zugang zu Technologie und Kapazitätsaufbau, um das Abkommen umzusetzen.
Nach langen Verhandlungen und einer letzten, 48-stündigen Verhandlungsrunde konnte am 4. März 2023 in New York eine Einigung erzielt werden. Das Abkommen wurde dann am 19. Juni 2023 offiziell von der UN-Generalversammlung angenommen und am 20. September 2023 zur Unterzeichnung freigegeben. Bis zum 26. Februar 2025 haben 110 Staaten das Abkommen unterzeichnet, jedoch haben bisher nur 17 unterzeichnende Staaten den Vertrag auch ratifiziert. Bevor ein Vertrag nicht ratifiziert ist, ist er nicht wirksam und nicht völkerrechtlich verbindlich.

Was ist aus Verhandlungsperspektive interessant?
Die Verhandlungen zum Hochseeschutzabkommen bieten tiefgehende Einblicke in die Dynamik multilateraler Abkommen und liefern wertvolle Lektionen für zukünftige Verhandlungsprozesse:
Konsensbildung durch schrittweise Annäherung
Die Verhandlungen zum Hochseeschutzabkommen erstreckten sich über fast zwei Jahrzehnte, mit intensiven formellen Verhandlungsrunden zwischen 2018 und 2023. Ein Durchbruch wurde erst durch flexible Lösungsansätze und Kompromisse erzielt. Beispielsweise wurde beim Streit um genetische Ressourcen ein Modell zur gerechten Gewinnbeteiligung eingeführt, das noch weiterentwickelt werden kann. Auch bei der Einrichtung von Meeresschutzgebieten entschieden sich die Verhandlungsparteien für eine pragmatische Herangehensweise: Statt sofort strenge Schutzmaßnahmen festzulegen, wurde ein Rahmen geschaffen, innerhalb dessen Schutzgebiete schrittweise eingerichtet und an neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst werden können. Dieser Ansatz spiegelt wider, dass multilaterale Verhandlungen oft keinen sofortigen Perfektionsanspruch erfüllen können. Vielmehr ermöglicht eine ambitionierte, aber pragmatische Einigung kontinuierliche Fortschritte, anstatt den Prozess durch zu starre Forderungen zum Stillstand zu bringen.
Ziele gemeinsam mit Mechanismen verhandeln
Ein starkes Abkommen ist erst der Anfang – die wahre Herausforderung liegt in der Umsetzung. Das Hochseeschutzabkommen zeigt, wie Verhandlungen zwischen Konsens und Mehrheitsentscheidungen balancieren müssen. Ein interessanter Aspekt des Abkommens ist die Einführung von Mehrheitsentscheidungen bei der Einrichtung von Meeresschutzgebieten. Dadurch können einzelne Staaten den Prozess nicht mehr durch ein Veto blockieren, was effizientere Entscheidungsprozesse in multilateralen Verhandlungen ermöglicht. Gleichzeitig erlaubt das Abkommen Staaten, unter bestimmten Bedingungen aus Verpflichtungen auszutreten – allerdings nur, wenn sie alternative Maßnahmen mit gleicher Wirkung ergreifen. Diese Flexibilität erleichtert es, nationale Interessen zu berücksichtigen und ohne das übergeordnete Ziel zu gefährden. Erfolgreiche Verhandlungsstrategien setzen daher nicht nur auf ambitionierte Ziele, sondern auch auf Mechanismen, die deren Umsetzung und Wirksamkeit langfristig sichern.
Rolle der Zivilgesellschaft
Anders als in vielen politischen Verhandlungen spielten Wissenschaftler:innen und Umweltorganisationen eine zentrale Rolle. Alarmierende Berichte über den kritischen Zustand der Ozeane schärften das Bewusstsein in Regierungen und Medien, während Organisationen wie Greenpeace und der WWF durch intensive Lobbyarbeit zusätzlichen Druck auf die Verhandlungspartner ausübten. Ihre Expertise diente als Grundlage für striktere Schutzmaßnahmen und beeinflusste maßgeblich die öffentliche Wahrnehmung der Dringlichkeit des Abkommens. Ein weiterer entscheidender Faktor war die Biodiversitätskonferenz COP15 im Dezember 2022, auf der das „30 by 30“-Ziel verabschiedet wurde. Dieses ehrgeizige Vorhaben, bis 2030 mindestens 30 % der Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen, erhöhte den Handlungsdruck auf die UN, konkrete Maßnahmen für den Schutz der Hohen See zu beschließen. Das Hochseeschutzabkommen zeigt eindrucksvoll, dass externer Druck aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und den Medien multilaterale Verhandlungen beschleunigen kann. Erfolgreiche Verhandlungsstrategien sollten diesen Faktor daher gezielt einbeziehen, um politische Blockaden zu überwinden und ambitionierte Lösungen durchzusetzen.
Das Hochseeschutzabkommen von 2023 ist ein historischer Meilenstein für den Meeresschutz und zeigt, dass multilaterale Diplomatie auch bei komplexen Umweltfragen möglich ist. Mit der Ratifizierung und Umsetzung dieses Abkommens wird sich zeigen, ob die Staaten ihren Verpflichtungen nachkommen und ob dieses Abkommen tatsächlich die biologische Vielfalt der Meere langfristig schützt.

Quellen & Weitere Informationen
- https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-103810.html
- https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/un-hochseeschutzabkommen-2617738
- https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte-der-bundesregierung/nachhaltigkeitspolitik/biodiversitaet-der-ozeane-2222766
- https://oceans-and-fisheries.ec.europa.eu/news/win-ocean-high-seas-treaty-signed-united-nations-2023-09-20_en
- https://www.swr.de/wissen/hochseeschutzabkommen-vereinte-nationen-haben-einigung-erzielt-100.html
- https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/meere/meeresschutz/un-einigt-globalen-ozeanvertrag
- https://presseportal.greenpeace.de/223688-greenpeace-zum-verhandlungsabschluss-fur-ein-un-hochseeschutzabkommen
- https://greenwire.greenpeace.de/Meeresvortrag-UN-Hochseeschutzabkommen